Kastell Cannstatt – Römerkastell – eine Zeitreise

Wir schreiben das Jahr 90 n.Chr. In Cannstatt steht ein römisches Kastell in Holz-Erde-Bauweise – auf dem Altenburger Feld rund 450 Meter vom Neckar entfernt. Rund 10 Jahre später wird es durch ein Kastell aus Stein überbaut und damit zur stolzen Bastion: das Kastell Cannstatt.

“Willkommen im Imperium Romanum” – der Blick vom Kastell ist ein Blick auf Rom. Unter Kaiser Trajan hat das Römische Reich 117 seine größte Ausdehnung erreicht. Es erstreckt sich von Schottland bis Nubien, von Portugal bis Mesopotamien. Seine Grenzen sind von zahlreichen Befestigungen geschützt. Das Einflussgebiet rechts des Rheins lässt Trajan im Jahr 98 gleich nach Regierungsantritt markieren und sichern: durch den Neckar-Odenwald-Limes, eine Linie von 70 Kilometern. Sie beginnt bei Wörth am Main und endet nahe der Kochermündung am Neckar. 80 Wachtürme sichern die Strecke. Das Kastell Cannstatt wird ein wichtiger Verteidigungspunkt für Rom. Denn Rom will bleiben.

Roms Verteidiger nutzen die Cannstatter Mauern: Das Kastell schützt wichtige Straßen, auf denen Güter von den Rheinprovinzen an die Donau gehen.

Vor dem rechten Lagertor treffen sich die Straßen aus Mogontiacum (Mainz), Argentorate (Strassburg), Arae Flaviae (Rottweil) und Wimpfen. Von den Türmen des Kastells aus bietet sich ein weiter Blick auf den Neckarübergang und die Straßen, die weiterführen nach Grinario (Köngen), in das Fils- und Remstal. Über die Sicherheit der Reisenden und Bewohner wachen mit Lanze und Schwert 500 Reiter, die Ala 1 Subulorum. An der Spitze steht ein Präfekt aus dem Ritterstand. 16 Reiterzüge mit je 32 Mann warten auf seine Befehle. Die Ala in Cannstatt ist eine der stärksten Militäreinheiten zwischen den Legionslagern Mainz und Augsburg.

Das Kastell Cannstatt ist Zufluchtsort und Trutzburg. Die Umfassung des Kastells besteht aus meterstarkem Gussmauerwerk, verkleidet mit Sand- und Tuffsteinquadern.

Darüber erstreckt sich ein Wehrgang aus Holz. Vor der Umfassung bieten Gräben von 4,50 Meter Breite und 1 Meter Tiefe Schutz vor Angriffen. Brücken stellen die Verbindung zu den vier Toren des Kastells her. Die Tore sind bis zu sechs Metern breit. Auch die Straßen innerhalb des Kastells bieten mit einer Breite von 8 bis 12 Meter genügend Raum für Reiter und Karren. Bedeckt sind sie von Kies und Steinen. Die beiden Haupttore sind durch die Hauptstraße via principalis verbunden, daneben gibt es die Ausfallstraße via praetoria und die rückwärtige via decumana. In der Nähe des Schnittpunktes von Haupt- und Ausfallstraße befindet sich das Fahnenheiligtum. Es ist Aufbewahrungsstätte der Truppenzeichen, der Truppenkasse und der Statue des römischen Kaisers. Auch der Präfekt wohnt dort. Parallel zur Lagerumwallung führte die 4 Meter breite Ringstraße via sagularis. Das Kastell nimmt eine Fläche von knapp vier Hektar ein, das sind gut fünf Fußballfelder.

Römisches Recht, römische Kultur. Cannstatt ist mehr als ein Kastell: Es ist wohl auch Hauptort eines römischen Regierungsbezirks, der civitas. Das Römerkastell hat dabei eine wichtige Funktion für den Verkehr.

Über mindestens 19 Hektar erstreckt sich diese Siedlung. Sie beginnt als Lagerdorf an den Straßen, die aus dem rechten und dem rückwärtigen Tor des Kastells führen. Die Häuser sind in Fachwerkbauweise errichtet, haben Keller und Fußbodenheizung. Bis zu 16 Meter tiefe Brunnen neben den Häusern sorgen für Trinkwasser. Eine Töpferei mit mindestens 40 Öfen bezeugt eine florierende Wirtschaft. Tempel zeigen die Verehrung für die Götter, zum Beispiel für Diana, die Göttin des Mondes und der Jagd. An der Kreuzung vor der Westecke des Kastells befindet sich eine Straßenstation. 230 lässt ihr Kommandant Serenus Atticus den Vierwege-Göttinnen dort einen Weihaltar errichten.

Rund hundert Jahre dauert der oft unsichere Friede am Limes. Mit der Vorverlegung der Grenze 30 Kilometer nach Osten um das Jahr 159 verliert das Kastell Cannstatt an Bedeutung. Dann kommen die Alemannen und das Kastell fällt.

Im Jahre 213 kann der römische Kaiser Caracalla angreifende germanische Gruppen, die Alemannen, nach schweren Kämpfen noch zurückschlagen. Der große Alemannen-Einfall 259/260 und innere Wirren bringen dann aber das Ende der römischen Herrschaft zwischen Rhein und Donau. Die Alemannen beziehen nicht die verlassenen römischen Steinhäuser, nutzen wohl aber die Flächen zum Bau eigener Behausungen aus Lehm und Holz.

Wo einst Reiter des stolzen Römischen Reiches wachten, zieht 1700 Jahre später wieder Kavallerie ein: Ab 1904 wird über den Resten des Kastells eine Dragonerkaserne für die Truppen König Wilhelms von Württemberg erbaut.

Teilweise über dem etwa von 90-160 n.Chr. existierenden Römerkastell mit einer Reiterkohorte ließ König Wilhelm II. von Württemberg zwischen 1908-1910 (die heutige Phönixhalle wurde erst 1916/1917 erbaut) eine Kaserne erbauen, die vom Dragonerregiment „König“ (2.Württ.) Nr.26, 1910 bezogen wurde. Der König wohnte selbst den Einweihungsfeierlichkeiten seines Regimentes bei. Den Anstoß zur Verlegung dieses Regimentes von Stuttgart nach Cannstatt gab der Neubau des Hauptbahnhofes, dessen Gleisanlagen die Fläche der bisherigen Kaserne benötigte. Der von Militärbauinspektor Lang entworfene, über neun Hektar große Komplex, der Platz für 800 bis 12000 Soldaten bot , galt damals als gelungener Militärbau.

Mit Beginn des 1. Weltkrieges 1914 rückte das Regiment aus ins Feld. Es verblieben
Ersatz- und Ausbildungseinheiten in der Kaserne. Im ersten Weltkrieg wurden in der Kaserne französische Kriegsgefangene einquartiert.

Am 11 November 1918 endete der 1. Weltkrieg mit der Unterzeichnung des Waffenstillstandes in Compiegne. Die Truppen kehrten in ihre Standorte zurück. Bereits am 9. November wurde in Württemberg die Republik ausgerufen (provisorische Regierung – Sozialdemokrat Wilhelm Blos; Abdankung des Königs am 30 November). Bei revolutionären Unruhen mit Schießereien zwischen kommunistisch orientierten Verbänden und Sicherheitstruppen kommt es zu Todesopfern.

Der Versailler Friedensvertrag vom 28. Juni 1919 beschränkte die deutsche Bewaffnung auf ein Berufsheer von 100 000 Mann und 15 000 für die Marine und verbot schwere Waffen. 1919/20 bestand eine vorläufige Reichswehr/ein Übergangsheer. Ab 1920 im Rahmen der Reichswehr dann die Aufstellung von 18 Reiterregimentern, wobei Cannstatt, Ludwigsburg und badische Standorte dem 18. Regiment angehörten.

1933-1945 Die Kaserne zur Zeit des Nationalsozialismus

Am 30. Januar 1933 übernahm Hitler mit der NSDAP die Macht in Deutschland. Die Reichswehr wird zu Wehrmacht umgebaut (1935 Einführung der allgemeinen Wehrpflicht), von Jahr zu Jahr vergrößert und mit den im Versailler Vertrag verbotenen Waffen ausgerüstet. Soweit nicht schon bei der Reichswehr in Ansätzen vorgenommen, wird die Reiterei mit u.a. Radfahr-, Maschinengewehr-, Minenwerfer-, Nachrichtenabteilungen und Panzerabwehrkanonenzügen ergänzt und teils motorisiert.

Namentlich hörte das Kavallerieregiment 18 (bis 1933 Reiterregiment 18) mit Beginn des 2. Weltkrieges am 1. September 1939 auf zu bestehen und wurde im Kriegsverlauf noch mehrmals umorganisiert und umbenannt. Während des Krieges waren in der Kaserne u.a. verschiedene Kavallerie-, Radfahr-, und andere Ersatzabteilungen untergebracht. Die Kavallerieregimenter waren während des ganzen Krieges auf allen Kriegsschauplätzen (bis auf Nordafrika) eingesetzt, da die weitgehende Motorisierung der Wehrmacht an zu wenig Fahrzeugen scheiterte.

Nachdem sich am 20. April der Ring um Stuttgart immer enger geschlossen hatte war die 3. algerische Inf.-Div. in breiter Front links des Neckars von der Enz nach Süden durchs Strohgäu auf Stuttgart vorgegangen, gleichzeitig wurden französische Truppen in Filderorten gemeldet. Drei Jahre zuvor waren in Stuttgart-Bad Cannstatt die ersten Bomben gefallen. Insgesamt zählte die Statistik bei Kriegsende 19 Luftangriffe und rund 1200 Tote. Auch die Kaserne wurde zum Teil schwer beschädigt.

Zu den Einheiten, die Stuttgart am 21. April 1945 erobern, gehören zunächst die Panzerbesatzungen der französischen 5. Division, das algerische 3. und das tunesische 4. Jägerregiment. Tags darauf rücken amerikanische Truppen vom Remstal in die Stadtteile am rechten Neckarufer mit Bad Cannstatt ein.

Nutzung durch die US Armee 1945 – 1990.
Trotz der Beschädigungen durch Bombenangriffe übernahmen im Jahr 1945 die US-Amerikaner die Anlage und nannte sie Wallace Barracks.

In dieser Epoche war das gesamte Areal territoriales Hoheitsgebiet der USA. Wie so oft, ergibt sich aus der Zerstörung des Alten, wie z.B. die vielen Toröffnungen, die Chance für etwas Neues.Tragisch für die Denkmalschützer – ein Segen jedoch für die neuen Nutzungen. Ohne diese Einschnitte für Belichtung in den ehemals dunklen Pferdeställen wäre die Nutzung in ihrer heutigen Form nicht denkbar gewesen.

In der Zeit der Besetzung durch die amerikanische Armee, quartiert sich das „Military Post Motor Pool Nr.1 (TMP – Militärischer Fahrzeugpark mit Bussen, Personen- Lastenkraftfahrzeugen) im Römerkastell zwischen 1959-1961 ein. Danach diente es u.a. der Militärischen Spionageabwehr (66th MI Gp), welche 1961 zum einfachen Heeresnachrichtendienst wird. Das Kastell ist für das amerikanische Militär offiziell unter dem Namen „Wallace Barracks“ bekannt. Herman C. Wallace (1924-1945) war ein United State Army- Soldat welcher mit der höchsten Auszeichnung des amerikanischen Militärs, der Tapferkeitsmedaille, für seine Dienste im 2. Weltkrieg ausgezeichnet worden war.

Vom Haupttor aus gesehen, war das größte Gebäude an der rechten Seite das Hauptquartier. Das Zweite, auch an der rechten Seite, diente den Soldaten als Unterkunft. Die Zimmer waren mit acht bis zehn Personen belegt. In den Gebäuden an
der linken Seite befanden sich ein kleines Büro für örtliche Sicherheit und ein Speiseraum mit Küche im nächsten Gebäude. Die Wache befand sich im Eckgebäude, nahe an den Straßenbahnschienen. Die Außenwände der Gebäude waren gelb gestrichen und wurden während der Stationierung der US Armee nicht erneuert. Der nördliche Bereich des Areals diente als Lager- und Werkstattstätte.

Das Hauptquartier beschäftigte ungefähr 100 Personen. Während ihrer Zeit im heutigen Römerkastell wurde von Amerikanern am Gebäudekomplex strukturell nichts geändert. Die Innenhof-Fassade wurde mit Toren für die Trucks durchlöchert. Das Giebeldach des Gebäudes 4310 wurde zurückgebaut. Sämtliche Büroräume wurden wahrscheinlich ohne weitere Ausbauten, wie schon zu Zeiten des deutschen Militärs genutzt. Als die US-Armee abzog, wurde das Gelände als Lagerungsstätte der Luftwaffen verwendet.

Nach dem Abzug der Amerikaner 1990 wird der nordwestliche Gebäudeteil vom
Technischen Hilfswerk bezogen.

Das THW nutzt das Gebäude sowie einen Teil des Areals als Abstell- und Reparaturfläche für ihre Fahrzeuge und ihre Ausrüstung. Außerdem haben sie hier ihre Büro- und Verwaltungsbereiche für ihre Einsätze in Raum Stuttgart eingerichtet.

Nach dem Abzug der US-Armee fiel die Liegenschaft in die Obhut des Bundes, der sich vor Ort recht wenig um seinen Besitz kümmerte, so dass das Areal zusehends verwahrloste. Die Stadtverwaltung diskutierte 10 Jahre lang über verschiedene Nutzungskonzepte. Bis 1995 verfolgte man mit knapper Mehrheit die Idee um den Abriss mehrerer Gebäude im Innenhof, dem heutigen Veranstaltungsbereich, um Raum für den sozialen Wohnungsbau zu schaffen.

1996 wechselte die Stuttgarter Ratsmehrheit und stoppte die städtebauliche Planung mit der Zielsetzung, dem sozialen Brennpunkt nicht noch mehr Raum zu geben, sondern durch andere Ideen zu entschärfen und im positiven Sinne weiter zu entwickeln.

Ein Investorenwettbewerb wurde ausgelobt, welchen die MKM Römerkastell 2001 für sich entscheiden konnte – MKM = Medien, Kunst und Musik sollten hier Einzug finden und als Impulsgeber für den Stadtteil wirken.

Dabei wurde das rund 10 ha große Areal geteilt. Das THW, welches sich seit Jahren auf ca. 2 ha eingerichtet hatte, und die Außenstelle der Altenburgschule blieben zunächst bestehen. Die verbleibenden 6 ha sollten durch den Investor revitalisiert werden. Bis Ende 2012 waren alle Bestandsflächen mit rund 26.000 m² ausgebaut und vollumfänglich vermietet.

Nach dem Erwerb von weiteren rund 2 ha von der Stadt Stuttgart durch den Investor MKM Römerkastell GmbH & Co KG sollte sich das ehemalige Kasernengelände und heutige Medienzentrum nun den Stadtteilen öffnen und die Nahversorgung der angrenzenden Gebiete Altenburg, Hallschlag und Birkenäcker weiter verbessern. Dafür wurde im Zuge des konkreten Planungsprozesses die Gesamtarealplanung optimiert. Vor allem aus Sicht des Denkmalschutzes stellt dies eine deutliche Verbesserung dar. Der ehemalige Kasernenhof in der Mitte des Areals bleibt unbebaut, um den Charakter des Exerzierplatzes erlebbar zu machen. Dieser war früher umsäumt von einer Galoppbahn und Sprunganlagen. Der neue Platz hingegen lädt die Besucher zum Flanieren um und über den Platz ein und bietet Open Air Veranstaltungen zukünftig neuen Raum.

In den ehemaligen Stallungen an der Westseite des Areals (Hallschlagstraße), welche zuletzt durch das Technische Hilfswerk genutzt wurden, sind nach der Sanierung unter Berücksichtigung des Denkmalschutzes Ladengeschäfte, Flächen für Dienstleistungen und Büros entstanden. Das ehemalige Stabs- und Wachgebäude links der Einfahrt Rommelstraße wurde ebenfalls saniert und sind voll vermietet.

Im Inneren des Geländes ist in einem eingeschossigen Neubau eine Einkaufsarkade entstanden, in welche ein REWE Lebensmittel- und Getränkemarkt mit Bäcker und Ladengeschäfte eingezogen sind. Diese ist gut durch Öffnungen zu den Straßen Am Römerkastell und Hallschlag fußläufig und durch eine weitere Zufahrt von der Straße Am Römerkastell zu erreichen. Weitere Gastronomieangebote und Angebote des täglichen Bedarfs ergänzen den umfassenden Versorgungsmix. Die ausreichend vorhandenen und direkt angrenzenden Parkplätze runden das Konzept perfekt ab.

Die Wege für Bewohner des Stadtgebiets – aber auch für die Mieter und Gewerbetreibenden des Medienareals – werden kürzer. Durch die Belebung der ehemals fast brachliegenden Fläche der alten Reiterkaserne, der baulichen und begleitende Maßnahmen im Sanierungsgebiet der sozialen Stadt und dem Anschluss des Hallschlags an das Netz der SSB mit der U12 wird sich der Stadtteil Hallschlag mit seinem neuen Stadtteilzentrum im Römerkastell auch in Zukunft weiter positiv entwickeln.

Grundriss des alten Kastells (Quelle: unbekannt)

Ausgrabungen durch Ernst Kapff (Quelle: unbekannt)

Wilhelm II von Württemberg bei der Abnahme des Spaliers in der Dragonerkaserne. (Quelle: unbekannt)

Nutzung des Areals durch die Amerikaner. Umbenennung in Wallace Barracks. (Quelle: unbekannt)

Ansicht Front Rommelstraße 7. (Quelle: MKM)

Ecke Hallschag am Römerkastell innen. Heute Rusticone und Volksbank. (Quelle: MKM)